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VIII
Ein kühlblauer, bitter schmeckender Morgen brach über weiter Fläche an: oben im
Zenit am dichtesten, flüchtigsten, rein und leicht. Allmählich sammelte er
Dichte wie milchiges Weiß. Und gerann am Rande des Himmels rotviolett; als
krieche von dort Farbe in das Weiß=Schwarze der Winterwelt, um sie noch mehr
gefrieren zu lassen, denn sie war von zarter Kälte. Der Frost stand wie Glas in
die Dinglichkeit der Welt und hatte sie am Ort fixiert.
Der Atem kam dem Gesellen wie Wetter aus dem
Maul, gefror im Frost, um endlich im Barte Eis zu sein.
Das Violett rann über den Horizont wie schwere
Flüssigkeit. Die Sonne hob sich als Blutendes aus dem Unten und lag auf dem
Rande der Welt schwer wie ein rundes Ding. Wie ohne Licht: nicht sie schien zu
leuchten, sondern die Luft, die Ferne, das kaum sichtbare Blau.
Nun, da Sonne war, schien Säuredampf aus ihr zu
fließen. Er löste sich in der Höhe und Weite des Himmels; den Gesellen
erreichte allein die Spur des Geruchs, da die Schlieren kurz über der leicht
hügeligen Ebene wie weittragende Netze lagerten.
Westlich das dunkle Band eines Waldes. Es glitt
von dort über sanfte Hügel, als hielte es diese in Zaum und deckte sie. Hinter
dem Gesellen lag das Dorf. Die Häuser geduckt unter dem Schnee. Rauchsäulen
krochen senkrecht auf in die seidige Helle des Lichts.
- Du schaust, als wärest du neu in dieser Welt.
- Mir ist so, Spengler. Beunruhigt dich das?
Spengler wiegte verneinend den Kopf.
- Im Wald, als du mir entgegenkamst, spürte ich
es schon. Wenn du bis jetzt kein Maler warst, ich mein, nun bist du einer.
- Willst du mein neuer Meister sein? fragte der
Geselle spottend.
Spengler kicherte.
- Vielleicht, denn du hast begriffen, in was du
hineingeraten bist: das Leben. Das Leben aber schließt das Sterben ein, das
Ende, sofern man etwas vorhatte, die Auslöschung, sofern man sein Wesen im
Gedanken erfährt. Begreifst du? da ist kein Meister, keine Ordnung, sondern da
stehst du für dich allein. Du allein verantwortest dich selbst.
- Freilich, als ich dich zwischen den Bäumen
gewahrte, schien es mir, ich müßte endlich mit allem rechnen.
- Du bist nicht ehrlich mit dir, Geselle. Das war
ein kurzer Augenblick, von dem du da sprichst. Was ich meine, das beginnt
jetzt, in diesem Moment.
- Der Tod? ich dachte, es ist die Weite, die
Höhe, das Licht. Ist der Winter die Auslöschung lebendiger Landschaft? oder ist
auch er dem Gemüt, also der Darstellung, zugänglich? Wer hat ihn je ins Bild
gebracht? Der Sommer stellt die Fülle an Leben her, rings um uns wuchert es,
sei es Pflanze, sei es Getier. Jetzt aber? wie klein sind wir hier, wie fremd,
denn schützten wir uns nicht und fänden kein Obdach, wir müßten erfrieren. Was
bleibt uns in dieser Kälte?: Raum. Diesen müssen wir durchqueren, um im Süden
seinen Aufriß zu lernen.
Spengler wiegte den Kopf.
- Es ist der Tod. Ich bleibe dabei: du erlebst
ihn als Möglichkeit deines Seins. Seine unfaßbare Eigenheit ist, er tritt nur
einmal ein. Freilich ist auch der Winter Landschaft. Landschaft
aus der sich das Leben weitgehend zurückgezogen
hat.
- Womöglich deshalb meiden ihn die Maler?
Der Schnee knarrte unter ihren Schritten. Es lag
von ihm nicht viel, aber der Frost erhielt ihn, machte ihn feinkörnig und
leicht. Käme Wind, er würde ihn verwehen. Aber es war Windstille.
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